Keine teuren Überraschungen – Pre-Engineering sorgt für Planungssicherheit

Immer wieder laufen Bauprojekte aus dem Ruder und werden deutlich teurer als geplant. Doch wie gewinnen Auftraggeber mehr Planungssicherheit? Zu den wichtigsten Faktoren zählt ein detailliertes Pre-Engineering, wie es der Anlagenbauer und Prozessexperte Glatt anbietet. Clifford Schäfersküpper, Head Project Execution Process Technology Food, Feed & Fine Chemicals bei Glatt Ingenieurtechnik, erläutert anhand von Praxisbeispielen, worauf es beim Pre-Engineering ankommt.

  • Interview mit Clifford Schäfersküpper, Head Project Execution Process Technology Food, Feed & Fine Chemicals, Glatt Ingenieurtechnik GmbH, geführt von Barbara Steffen, Freie Journalistin
  • im Original veröffentlicht im Fachmagazin ‚cav – chemie anlagen verfahren‘, Ausgabe 04/2022, Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH
  • online auf prozesstechnik.industrie.de

„Erfolgreiches Pre-Engineering ist die gedankliche Vorwegnahme aller Projekt-Eventualitäten – und zwar bevor Investitionsentscheidungen getroffen werden.“

Herr Schäfersküpper, wodurch zeichnet sich ein erfolgreiches Pre-Engineering aus? Wer sind die Auftraggeber von Glatt und was können diese von Ihnen erwarten?

Schäfersküpper: Erfolgreiches Pre-Engineering ist die gedankliche Vorwegnahme aller Projekt-Eventualitäten – und zwar bevor Investitionsentscheidungen getroffen werden. Damit vermeiden wir Änderungen im späteren Projektverlauf, die viel Zeit und Geld kosten. Gelingt dies, können Vorhaben und Neuentwicklungen schneller umgesetzt bzw. auf den Markt gebracht werden.

Pre-Engineering ist ursprünglich im Pharmabereich beheimatet, aber auch in der Food- oder Feed-Industrie steigt die Nachfrage. Klar ist, die Pharma-Akteure stehen unter immer höherem Wettbewerbsdruck. Es gilt, strenge Regeln zu befolgen und in hochkomplexen Prozessen mit häufigen Produktwechseln zu arbeiten. Da dies in anderen Branchen ähnlich ist, profitieren auch die Chemie-, Lebensmittel- und Futterindustrie von unseren Konzeptstudien. Unsere Engineering-Dienstleistungen sind technologieunabhängig. Das heißt, wir ermitteln für jeden Kunden die wirtschaftlichste Lösung mit der Verfahrenstechnik, die am besten für sein Produkt geeignet ist. Darüber hinaus können wir im Rahmen eines Pre-Engineerings früh die standort- oder kundenspezifischen Gegebenheiten, wie zum Beispiel vorhandene Infrastruktur, Besonderheiten bei der Medienversorgung oder spezielle behördliche Auflagen berücksichtigen. Diese werden möglicherweise nicht auf den ersten Blick als budgetrelevant eingeschätzt.

Was ist aus Ihrer Sicht der größte Vorteil beim Pre-Engineering?

Schäfersküpper: Pre-Engineering erhöht die Planungssicherheit und liefert dem Projektcontrolling objektive, verlässliche Vorgaben. Beispiel Lastenheft: In der Pre-Engineering-Phase dient es primär zur Festlegung des Projektumfangs. Die Stakeholder auf der Kundenseite definieren zunächst ihre Anforderungen an das Projekt. Wir führen diese mit den weiteren Anforderungen – zum Beispiel gesetzliche oder genehmigungstechnische – zusammen. Im Anschluss bewerten und gewichten wir sie gemeinsam mit dem Kunden. Findet dieser Prozess erst im Basic Engineering statt, sind Konflikte vorprogrammiert.

Wie gehen Sie beim Pre-Engineering genau vor?

Schäfersküpper: In der frühen Konzeptphase nehmen wir gedanklich bereits die Rolle des Anlagenbauers ein. Wir erstellen Basisdokumente als Grundlage für das spätere Engineering und den Bau. Außerdem schauen wir genau auf Projekt- und Produktrisiken. Ein Projektrisiko kann zum Beispiel im fehlenden gemeinsamen Verständnis für den Arbeitsauftrag liegen. Auftraggeber haben meist eine konkrete Vorstellung, wie die Anlage in ihrer Funktion aussehen soll, aber nicht immer können sie dies entsprechend kommunizieren. Weicht das Ergebnis dann von den Erwartungen ab, muss teuer umgeplant und nachgebessert werden. Wir umgehen dieses Risiko durch einen exakt beschriebenen Arbeitsauftrag, den wir unter anderem in gemeinsamen Workshops definieren. Die gefundene Lösung halten wir inklusive Visualisierung in der Konzeptdokumentation fest.

An den Anfang gehört zudem eine Projektlandkarte in Form eines Blockdiagramms. Sie gibt einen Rundumblick über die wichtigsten vorhandenen und anzuschaffenden Anlagenbereiche sowie Ausrüstungsgegenstände. Für die Ausrüstungsliste ziehen wir unsere eigenen Datenbanken oder Erfahrungswerte heran. Die Gewichtsangaben berücksichtigen bereits die Zustände „leer“, „in Betrieb“ und „im Katastrophenfall“. Dies gibt Aufschluss über erforderliche bauliche Sicherheitsmaßnahmen und bildet eine wichtige Grundlage für die Statik. Natürlich werden alle Dokumente im Laufe des Projekts fortgeschrieben und enthalten letztlich alle erforderlichen Informationen einschließlich Raumkoordinaten, Verbindungsarten und Prozessbedingungen.

Was kommt nach der Konzeptphase?

Schäfersküpper: Im nächsten Schritt folgt der Layout-Entwurf. Hierbei blicken wir aus der Vogelperspektive auf die zukünftige Produktion. Wir profitieren bei Glatt von einem großen Erfahrungsschatz. Aus zahlreichen Projekten auf nahezu allen Kontinenten wissen wir, welche Mindestbedarfsflächen für Bedien-, Bereitstellungs- und Wartungsflächen sowie Rettungswege zu reservieren sind. Trotz ähnlich aufgebauter Anlagen verstehen wir uns als Sonderanlagenbauer, bei dem bekannte und etablierte Lösungen auf den Kunden maßgeschneidert werden. So erreichen wir das optimale Ergebnis hinsichtlich Produkt und Produkteigenschaften. Unser Wissen fließt ebenso in den Grobterminplan ein, der ab Vertragsunterzeichnung als Fahrplan dient. Zum Ende der Konzeptphase erstellen die Planer einen Bericht, der in der Regel eine vorläufige Prozessbeschreibung enthält und Grundlage für das spätere Prozess- und Bedienhandbuch ist.

Lässt sich durch Pre-Engineering auch vorhersagen, mit welcher Effizienz Anlagen nach ihrem Bau betrieben werden können?

Schäfersküpper: Ja, auch hier liefert das Pre-Engineering verlässliche Zahlen. So fließen die Anschlusswerte in die Investitionskosten ein, die sogenannten Capex. Diese liegen höher als die Verbrauchswerte, Opex genannt, die die Wirtschaftlichkeit im laufenden Betrieb bestimmen. Ziel ist es, die Lücke zwischen Capex- und Opex-Betrachtung zu schließen. Dafür ermitteln unsere Ingenieure in Laborversuchen beispielsweise zu erwartende Verbrauchswerte von Wirbelschichtanlagen. Gleichzeitig untersuchen sie die prinzipielle Machbarkeit und berechnen anhand der ermittelten Prozessdaten die verfahrenstechnische Auslegung. Für technologisch anspruchsvolle Produkte mit besonderen Eigenschaften bieten wir zusätzliche Scale-up-Versuche auf einer Pilotanlage. Hier können Daten und Parameter sowie die geforderte Produktqualität bestätigt werden.

Inwiefern fließen Faktoren wie Anlagenstandorte oder die bauliche Struktur in die Pre-Engineering-Prozesse ein?

Schäfersküpper: Für unsere Auftraggeber suchen wir immer die wirtschaftlichste Lösung. Die Frage nach der Effizienz lässt sich am besten anhand von alternativen Varianten beantworten. Hierzu kalkulieren wir prozess- und aufstellungsbedingte Möglichkeiten sowie internationale Standortvarianten. Bauliche oder gestalterische Alternativen lassen sich während der Konzeptphase günstig untersuchen und kommen auf den Prüfstand. Das gilt auch für Brownfield-Projekte in bestehenden Anlagen oder Infrastruktur.

Pre-Engineering kommt also auch für bestehende Anlagen infrage?

Schäfersküpper: Ja, wir sprechen hier von Revamping. Dabei werden alle im Anlagenbetrieb real erzielten Produktions- und Verbrauchsdaten auf den Prüfstand gestellt. Das gibt Gelegenheit, Aufstellvarianten zu diskutieren und Konzeptbetrachtungen mit realistischen Zahlen zu belegen. Unser Ziel ist es, Verbesserungspotenziale ganzheitlich zu erkennen, sodass die Anlage technisch wieder State-of-the-Art ist. Wärmerückgewinnung für mehr Energieeffizienz ist hier ein Stichwort. Kontinuierlich steigende Energiekosten treiben auch die Opex in die Höhe. Eine langfristige Denkweise ist daher besonders wertvoll, weil sie den Betrieb wirtschaftlicher gestaltet.

Das Interview führte Barbara Steffen, Freie Journalistin

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