Mattes aus dem Heißgasstrom – Mattierungsmittel mit Glatt Pulversynthese

Sprühkalzination // Ihr Anteil im Lacksystem beträgt nur wenige Prozent, doch ihre Wirkung löst Kaufimpulse aus und lässt die Kassen von Fahrzeugherstellern und Möbelproduzenten klingeln: Mattierungsmittel. Dank eines neuartigen Verfahrens der Sprühkalzination im pulsierenden Heißgasstrom entstehen aus neuen Ideen innerhalb weniger Wochen testreife Additive.

  • im Original veröffentlicht im Fachmagazin Farbe und Lack – Ausgabe 03/2018, Vincentz Network GmbH & Co. KG

Ob Rapid Prototyping, Customization oder personalisierte Produkte: Was in anderen Branchen längst Realität ist, davon können Lackhersteller meist nur träumen. Ihre Ideen werden ausgebremst von Mindestabnahmemengen, fehlendem Know-how, teuren Maschinen oder schlichtweg nicht verfügbaren, weil noch nicht entwickelten Pulvertypen.
Sucht ein Unternehmen zum Beispiel für sein Mattierungsmittel-Portfolio nach einem Pulver mit Eigenschaften, die es in dieser Form eigentlich noch gar nicht gibt, so bietet sich die Entwicklung in Kooperation mit erfahrenen Partnern an. Diesen Weg geht auch der österreichische Spezialchemiehersteller Pigmentsolution, der bei der On-Demand-Entwicklung kundenspezifischer Formulierungen auf APPtec setzt, das neuartige Sprühkalzinationsverfahren im pulsierenden Heißgasstrom des Thüringer Anlagenbauers Glatt Ingenieurtechnik. Im Heißgasreaktor können Silica (SiO2) in einer thermischen Behandlung mit spezifischen Eigenschaften ausgestattet werden, die einerseits die Oberfläche kaum belasten und andererseits den gewünschten Mehrwert mitbringen – sei es eine Transparenz ohne störenden Nebel (Haze), eine anfeuernde Optik bei Holzlacken, eine besondere Widerstandsfähigkeit oder ein optimales Schwebe- und Fließverhalten.
Das Beispiel Mattierungsmittel zeigt, wie nicht nur große, sondern auch kleine Unternehmen von Technologien profitieren können, die On-Demand-Lösungen in der Lackentwicklung in greifbare Nähe rücken.

Die Hochzeit des Glanzlosen

Galt bis vor wenigen Jahren noch Hochglanz als das Nonplusultra aller Oberflächen, so heißt es spätestens seit 2008: Edelmatt sei der Lack, kratzfest und gut. Was die windschnittige Kontur von Sportwagen betont, verleiht auch Möbeln und anderen Produkten nicht nur eine softe Optik, sondern fühlt sich oftmals auch so an. Hinter der gefragten Glanzlosigkeit stecken in der Regel Mattierungsmittel. Sie müssen heute jedoch viel mehr können als visuell und haptisch zu überzeugen. Die Additive erweisen sich zunehmend als Problemlöser für eine ganze Reihe von Herausforderungen: Sie verbessern die Lackqualität, erleichtern die Verarbeitung, erhöhen die Oberflächenbeständigkeit gegen vielerlei Einflüsse, erleichtern die Reinigung oder löschen dank einer flammenhemmenden Beladung sogar Feuer. Für diese Wirkweisen müssen Mattierungsmittel Eigenschaften aufweisen, die ihren Rohstoffen entweder durch eine geeignete Behandlung entlockt oder die erst durch ein spezielles Partikel-Design möglich werden.

Wie Mattierung entsteht

Mattierungsmittel bestehen in der Regel aus gefällten oder pyrogenen Kieselsäuren, Kieselgelen, Wachsadditiven und Füllstoffen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Lacke nachträglich mithilfe von Bimsmehl oder Stahlwolle matt geschliffen [1]. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte sich die großtechnische Herstellung synthetischer Kieselsäuren durch. Sie ließen sich wirtschaftlich als Additive in Lacksysteme einbringen und die Welt konnte ihren Hunger nach farbenfrohen Konsumgütern stillen. Moderne Mattierungsmittel auf Silicabasis sowie Füllstoffe erzeugen den Effekt durch aus der Oberfläche herausragende Feststoffe, die bei der Trocknung eine Mikrostruktur ausbilden. Die hervorstehenden Partikel machen die Oberfläche rauer und brechen das Licht diffus.
Stumpf matt lackiert wirkt Holz wie unlackiert – eine optische Täuschung, der sich die Möbel- und Fußbodenbeschichtungsindustrie mit folierten Trägermaterialien seit Jahren bedient [2]. Die Rauigkeit matter Oberflächen wird dabei von der Partikelgröße und -form des Mattierungsmittels sowie von der Dichte der Partikel bestimmt (Abb. 1). Auch Wachse beeinflussen die Lichtstreuung, indem sie zur Oberfläche drängen und diese uneben machen. Die Wirkung und Verarbeitung wird darüber hinaus von der Schichtdicke des Lackes, der Schrumpfung bei der Verdunstung des Lösemittels im Trocknungsprozess und den verwendeten Dispergier- und Netzmitteln beeinflusst [3].
Zur Quantifizierung des Matt- bzw. Glanzgrades hat sich die Messung des reflektierten Lichtanteils unter einem 60°-Winkel etabliert. Fürgroßflächige Mattierungen wird zumeist ein 85°-Reflektorwert (Sheen) herangezogen, für hochglänzende Oberflächen hingegen ein 20°-Winkel. Der Glanzgrad beeinflusst auch die Beurteilung von Farben.

Herausforderungen bei der Mattierung

Lackhersteller müssen nicht nur immer strengere Umweltauflagen erfüllen, sie werden auch vom technologischen Fortschritt und den Anforderungen an die Verarbeitung und Applikationsbandbreite getrieben. Der Anteil biobasierter Formulierungen wird weiter steigen [4]. High-Solids-Formulierungen kommen zwar fast gänzlich ohne flüchtige organische Verbindungen aus, lassen sich aber schwerer mattieren. Ähnlich anspruchsvoll zeigen sich UV-gehärtete Soft-Feel- beziehungsweise Soft-Touch-Lacke oder Coil Coatings. Eine kaum überwindbare Grenze bei der Mattierung setzt die Viskosität. Ein stumpfer Mattlack gelangt mit sechs Prozent Mattierungsmittel an die Grenze der Verarbeitungsfähigkeit. Zudem verringern grobe Bestandteile die Widerstandsfähigkeit des getrockneten Lacksystems. Werden jedoch beispielsweise grobe und feine Mattierungspartikel gemischt, erhöht sich die Oberflächenbeständigkeit, die visuelle Mattierung nimmt leicht ab. Die Formulierung ist dabei abhängig vom Bindemittelsystem und genau daraufhin abgestimmt werden.

Grobe Partikel lassen sich grundsätzlich leichter dispergieren als feinteilige, da bei feinen Partikeln eine viel höhere Oberfläche benetzt werden muss. Zudem neigen feine Partikel aufgrund der hohen Oberflächenenergie deutlich stärker zur Agglomeration. Von feineren Partikeln verspricht man sich einen höheren Mattierungseffekt bei gleicher Produktmenge, da die Teilchen homogener dispergiert werden können. Die Herausforderung liegt darin, kleine Partikel  erzustellen und diese so zu funktionalisieren, dass sie gut dispergierbar sind.
Mithilfe des innovativen gepulsten Sprühkalzinationsverfahrens kann das gewünschte Partikelspektrum mit einer bestimmten Verteilung von großen und kleinen Partikeln genau eingestellt werden (Abb. 2). „Klein“ kann hier bei wenigen Nanometern beginnen und „groß“ endet bei einigen Mikrometern – abhängig jeweils von den Bindemitteln und weiteren Additiven. Bei Problemen mit einer Formulierung bewegt sich die erforderliche Korngrößenanpassung nicht selten im Nachkommabereich. Diese lässt sich mit dem Verfahren entsprechend nachjustieren.
Gleichzeitig lassen sich die Partikel für eine bessere Dispergierung funktionalisieren. Ein typisches Anwendungsbeispiel ist ein Mattierungsmittel mit besonders feinskaligen, chemisch inerten Partikeln, die durch ihre Partikelverteilung die Rheologie nicht stören, sich also homogen dispergieren lassen. In der Möbelindustrie werden dafür Mattierungsmittel benötigt, die unter anderem die hohe Transparenz des Klarlacks erhalten, den Farbton nicht beeinflussen und die Oberfläche resistent gegenüber Rotwein-, Kaffee- oder Speiseölflecken machen. Der Weg dorthin führt über thermisch behandelte Partikel, die je nach Einsatzzweck und zur Einarbeitung in ein lösemittelbasiertes System zusätzlich mit einem Coating versehen werden.

Partikel aus dem pulsierenden Heißgasstrom

Das neuartige Verfahren, baut auf einer Weiterentwicklung der Sprühkalzination auf. Von Kalzinierung spricht man, wenn die chemische Zusammensetzung eines Stoffes mithilfe eines thermischen Prozesses verändert wird und flüchtige Bestandteile ausgetrieben werden. Herzstück der Technologie ist die Brennkammer im Synthesereaktor, in welcher der pulsierende Heißgasstrom erzeugt wird (Abb. 3, 4). Lösungen, Suspensionen und Feststoffe werden im pulsierenden Heißgasstrom im kontinuierlichen Prozess thermisch behandelt und in Hochleistungspulver besonderer Güte verwandelt. Die Partikeleigenschaften ergeben sich aus der speziellen Kombination von Prozesstemperatur, Verweilzeit, Frequenz und Amplitude. Dabei können unterschiedliche Prozessschritte wie Trocknung, Kalzinierung, Partikelbildung oder –beschichtung miteinander kombiniert werden. Das gelingt, weil die Pulsation die Wärmeübertragung vom Gas zum Partikel um das Fünf- bis Zehnfache gegenüber einer kontinuierlichen laminaren Strömung erhöht. Das Aufheizen von Null auf die Prozesstemperatur von 200 bis 900 °C erfolgt binnen Sekunden und Sekundenbruchteile dauert es auch nur, bis das Lösemittel verdampft ist und sich die Partikel zielgerichtet umgewandelt haben (Abb. 5). Die Verweilzeit liegt zwischen 100 ms und 10 s.

Handelsübliche Rohstoffe genügen

Die Rohstoffe, die für diesen Prozess benötigt werden, müssen dabei gar nicht außergewöhnlich sein – ganz im Gegenteil. So lassen sich im Reaktor etwa handelsübliche Fällungskieselsäuren SiO2 in höherwertige Pulver mit spezifischen Eigenschaften verwandeln. Auch für Effektpigmente, zum Beispiel besonders feinteilige Pigmente mit verbesserter Farbstärke, oder für eine geringere Konzentration, können handelsübliche Rohstoffe durch das Verfahren mit den gewünschten Eigenschaften ausgestattet bzw. auf eine Partikelgröße bis hin in den Nanobereich gebracht werden. Eine Stärke des Verfahrens ist die Beschichtung von Partikeln, zum Beispiel zum Schutz der Pigmente oder um die Einbindung der Pigmente in die Produktmatrix zu verbessern.

Das passiert im Reaktor

Um beim Beispiel SiO2 zu bleiben: Die thermische Behandlung im Heißgasreaktor löst hier zwei Effekte aus. Zum einen werden alle Stoffe abgespalten, mit denen die Oberfläche des SiO2 bereits reagiert hat, OH-Gruppen beispielsweise. Sie verbrennen, übrig bleibt reines SiO2. Die zweite chemisch-mineralische Reaktion zielt auf die gewünschte Beeinflussung und Funktionalisierung der Partikeloberfläche ab. Durch gezielte Prozessführung während der Kalzination werden die Poren geschlossen, die spezifische Oberfläche verringert sich und wird glatter.
Die Gasatmosphäre ist je nach Zielsetzung frei einstellbar – oxidierend oder O2-frei. Darüber hinaus können die Partikel mit einem organischen oder anorganischen Coating beschichtet werden, um etwa die Sedimentierung und (Re)-Agglomeration der Partikel während der Lagerung zu verhindern. Wachs wird dabei zum Beispiel mit maximal 200 °C aufgebracht, damit es nicht verbrennt. Die Wachskomponente verbindet sich gut mit der Lackmatrix und fixiert das Partikel darin (Abb. 6).
Eine Versinterung findet im Reaktor aufgrund der niedrigen Temperaturen generell nicht statt, die einzelnen Partikel sind nachher gut trenn- und dispergierbar. Die Partikelgröße kann zum Beispiel durch Laserbeugung analysiert werden (Abb. 7).

Möglichkeiten und Marktchancen

Während ein besseres Dispergierverhalten, eine intensivere Mattierung, ein besonderer Farbeindruck oder eine beständigere Oberfläche vor allem Verbesserungsinnovationen darstellen, bietet das beschriebene Verfahren auch Potenziale für Basisinnovationen in Form von Nischenprodukten, die es vorher so noch nicht gab. Im Pigmentsektor sind das beispielsweise Effektpigmente mit besonderem Glanz- bzw. Schimmereffekt oder Spezialpigmente mit Zusatzeigenschaften wie UV-Schutz, Leuchteffekt, antimikrobieller Wirkung, Reflexion von Infrarotlicht oder auch mit isolierenden oder wärmeleitenden Eigenschaften. Auch die Möglichkeiten biobasierter Formulierungen und deren Anwendungen sind noch lange nicht ausgereizt.
Produktverbesserungen werden in der Regel über die Veränderung des Additivs erzeugt, zum Beispiel über die Einstellung der Partikelgröße oder der Oberflächeneigenschaften. Für wirkliche Innovationen ist dagegen die Herstellung neuer Pulvertypen notwendig. Gerade das war bislang eine Domäne, die überwiegend den großen Produzenten vorbehalten war, denn das Partikel-Design erfordert nicht nur Knowhow in der Produkt-, sondern auch in der  rozessentwicklung und eine umfangreiche technische Ausstattung. Die Kooperation mit Partnern, die eine ausgewiesene Expertise in den Bereichen Anlagenbau, Prozessentwicklung und Partikel-Design sowie in der Formulierung von Lacksystemen mitbringen, machen Innovationen aber auch für kleinere Firmen realisierbar.

Binnen Stunden zum Produktmuster

Rezepturen oder Produktideen lassen sich, in enger Kooperation mit dem Kunden und nach intensiver Beratung, in kurzer Zeit vom Rohstoff bis zur einsatzfähigen Pulvermenge bringen, sodass sich Pilotprojekte oder die Marktreife eines Produkts rasch realisieren lassen.
Was die Prozessierung im Heißgasreaktor zusätzlich wirtschaftlich macht: Es entstehen keine Abfälle, außer der Rohstoff erweist sich als gänzlich unbrauchbar. In der Regel aber gilt: Was durch den pulsierenden Heißgasstrom geführt wird, kommt auch zu einhundert Prozent wieder heraus – ohne dass Separation, Aggregation oder Hotspots auftreten. Ein verwertbares Ergebnis in Form von Produktmustern im Bereich von unter einem bis hin zu mehreren Kilogramm liegt bereits nach einem halben Arbeitstag vor und kann direkt vor Ort im Labor zum Beispiel hinsichtlich des Feuchtegehalts, der Leitfähigkeit, der Freisetzungskurve, der Partikelgröße und -form, des pH-Wertes und der Schüttdichte untersucht werden. Weil bei dem neuen Verfahren keine Skalierung notwendig ist, kann nach der Auswertung erfolgreicher Praxistests umgehend mit der Produktion begonnen werden. Auch Lohnfertigungen bis hin zum dreistelligen Tonnenbereich sind eine Möglichkeit, sodass Lackhersteller im Prinzip sofort lieferfähig sind (Abb. 8).

Ergebnisse auf einen Blick

  • APPtec ist ein innovatives gepulstes Sprühkalzinationsverfahren.
  • Es eignet sich für das Partikel-Design und zur Funktionalisierung von Additiven wie Mattierungsmitteln, Effektpigmenten, Katalysatoren, Hochleistungskeramiken.
  • Die Prozesstemperatur im pulsierenden Heißgasstrom liegt zwischen 200 und 900 °C, die Verweilzeit zwischen 100 ms und 10 s, die Amplitude, Frequenz sowie Gasatmosphäre (oxidierend oder sauerstofffrei) sind individuell einstellbar.
  • Unterschiedliche Prozessschritte wie Trocknung, Kalzinierung, Partikelbildung oder –beschichtung können im gleichen Prozessschritt miteinander kombiniert werden.
  • Entwicklungen können ohne Scale-up sofort im Produktionsmaßstab umgesetzt werden.
  • Mithilfe des neuen Verfahrens kann das gewünschte Partikelspektrum mit einer bestimmten Verteilung von großen und kleinen Partikeln genau eingestellt werden. Gleichzeitig lassen sich die Partikel für eine bessere Dispergierung funktionalisieren.

Autoren:
DR. LARS LEIDOLPH ist ehemaliger Leiter Advanced Powder Processing bei Glatt Ingenieurtechnik GmbH. Er studierte und promovierte in Leipzig auf dem Gebiet der technischen Mineralogie.
ANDREAS KRÖGER ist Geschäftsführer der Pigmentsolution GmbH. Der Maler- und Lackierermeister kennt die Anforderungen an Additive und Mattierungsmittel dank jahrelanger Erfahrung in der Entwicklung von Rezepturen und Formulierungen für die Farben- und Lackindustrie und aus der Anwenderpraxis.

Literature
[1] Bieleman, J.: Lackadditive, Wiley-VCH Verlag, 1998
[2] Kittel, H., Spille, J. (Hrsg.): Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen, Bd. 2: Füllstoffe, 2. Aufl., S. Hirzel Verlag, 2003
[3] Lenz, P., Göbelt, B., Schulte, K.: Maßgeschneidert für Mattierungsmittel. In: Farbe und Lack 03/2008, S. 35-38
[4] Gagro, D.: Biobasierte Lacke: Wachstum weltweit. Im Internet veröffentlicht: 27.11.2017, online unter: http://www.farbeundlack.de/Markt-Branche/Unternehmen-und-Maerkte/ Biobasierte-Lacke-Wachstum-weltweit (letzter Aufruf 01.12.2017)

Weitere Informationen zu diesem Thema und verwandten Themen finden Sie auch in den folgenden Veröffentlichungen: