Mit der Novellierung der Düngeordnung (DüV) und der Klärschlammverordnung (AbfKlärV) hat der deutsche Gesetzgeber im Jahr 2017 die Weichen für den zukünftigen Umgang mit Klärschlamm neu geregelt und Phosphorrecycling ab 2029 zur Pflicht erhoben. Bereits ab 2023 müssen die Betreiber großer Kläranlagen Konzepte vorlegen, wie sie die Anforderungen an eine Phosphorkreislaufwirtschaft umsetzen wollen. Die neuen Verpflichtungen krempeln die Entsorgungsbranche seither tüchtig um und führen zu vielfältigen Kooperationsprojekten fernab des verbreiteten Kirchturmdenkens. Immer mehr Akteure der öffentlichen Hand, der Wirtschaft, aus Forschung und Politik, bündeln ihre Kräfte, um gemeinsam neue Lösungsstrategien zur Phosphorrückgewinnung zu entwickeln und konkrete Investitionsvorhaben zu vereinbaren. Mitte Juni 2020 hat auch die EU-Kommission angekündigt, die Klärschlammrichtlinie (86/278/EWG) zu evaluieren.[1] Drei Interessensverbände, bestehend aus der Europäischen Phosphor Plattform (ESPP), der Deutschen Phosphor-Plattform (DPP) und der Niederländischen Nährstoff Plattform (NPP), haben zusammen einen Technologienkatalog veröffentlicht, der Methoden zur Phosphorrückgewinnung auflistet.[2] Der Technologienkatalog stellt auch das von Glatt in Kooperation mit der SERAPLANT GmbH entwickelte PHOS4green-Verfahren vor (siehe Infobox).
Erste großtechnische Produktion in Deutschland
Ende 2020 nimmt der Entwicklungspartner SERAPLANT, ein Düngerhersteller aus Sachsen-Anhalt, den Betrieb einer PHOS4green-Produktionsanlage auf (Abb. 1). Die neue Anlage ist für eine Jahresproduktion von 60.000 Tonnen phosphathaltige Einzel- und Mehrnährstoffdünger ausgelegt. Herzstück des Prozesses ist der Apparat für die Sprühgranulation „AGT 750“ (Abb. 2). Mit „PHOS4green“ geht deutschlandweit erstmals ein Kreislaufverfahren zum Phosphorrecycling in die großtechnische Umsetzung. Zielgruppe sind Agrarbetriebe der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft, der Agrar- und Gartenbaugroßhandel sowie die Düngemittelindustrie. Glatt war mit der Planung und Umsetzung der kompletten Anlagentechnik von der Rohstoffanlieferung – über die Suspensionsaufbereitung und anschließende Wirbelschichtgranulation – bis zum Fertigdünger beauftragt. SERAPLANT hat mit Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt 20 Millionen Euro in den Bau investiert. Weitere Fördermittel in Höhe von fast fünf Millionen Euro kamen aus dem Förderprogramm der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW). Die GRW ist Teil des Gesamtdeutschen Fördersystems für strukturschwache Regionen unter der Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums. Die innovative Produktionsstätte schafft über 20 neue Arbeitsplätze, die in den kommenden Monaten besetzt werden.
Monoverbrennung im Aufwind
So vielseitig wie die Sekundärrohstoffe und deren Quellen sind, so unterschiedlich sind auch die Ansätze der Recyclingverfahren. Bereits jetzt zeigt sich, dass aschebasierten Verfahren ein sehr hohes Potenzial zugetraut wird. Die Menge des verbrannten Klärschlamms aus kommunalen Kläranlagen in Deutschland hat dem Statistischen Bundesamt zufolge im Jahr 2018 um rund 100 000 Tonnen auf 1,3 Millionen Tonnen zugenommen. Das entspricht einem Anstieg von rund 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf insgesamt 74 Prozent des entsorgten Klärschlamms.[3] Laut einer Untersuchung des Beratungsunternehmens ecoprog sind derzeit bundesweit 40 Projekte für neue Monoverbrennungsanlagen geplant.[4] Auch die Politik unterstützt entsprechende Aktivitäten, wie die nachfolgend vorgestellten Projekte zeigen.
Forschungsvorhaben „RePhoRM“
Wie können die Entsorger der Wirtschaftsregion Rhein-Main ihre Kräfte bündeln und Phosphor als Recyclat für den Nährstoffkreislauf wiederverwertbar machen, wie es der Gesetzgeber ab 2029 fordert? Dieser Frage widmen sich die neun Akteure des Verbundprojekts RePhoRM. Der Anlagenbauer Glatt Ingenieurtechnik GmbH aus Weimar bringt seine Expertise u.a. in zwei Teilprojekten ein: Planung und Bau einer Containeranlage im Industriepark Höchst und den Untersuchungen zur Sprühgranulation von aufgereinigtem Sekundärphosphor. Da die großen Mengen Klärschlamm in Ballungsgebieten überwiegend thermisch verwertet werden und der Phosphor aus den Aschen zu recyceln ist, wurden in der Konzeptphase diverse Methoden bewertet und letztlich das Verfahren der Thüringer ausgewählt. Die Demonstrationsanlage zur Schwermetallabscheidung aus Klärschlammaschen dient der Verfahrenserprobung im BMBF-Verbundprojekt „Regionales Phosphor-Recycling im Rhein-Main-Gebiet unter Berücksichtigung industrieller und agrarischer Stoffkreisläufe (RePhoRM)“ unter der Leitung der TU Darmstadt mit dem Ziel, ein großtechnisches Konzept zur Phosphorrückgewinnung für die Metropolregion zu entwickeln.
Die Wissenschaftler des Fachgebiets Abwassertechnik der Technischen Universität Darmstadt übernehmen als Spezialisten für Stoffmanagement auch die Grundlagenforschung und einen Großteil der Analysen. Die praktische Umsetzung erfolgt durch Infraserv GmbH & Co. Höchst KG im Industriepark Höchst. Glatt ist hierbei nicht nur für das Engineering zuständig, sondern liefert auch die Containermodule. Klärschlämme oder Klärschlammaschen sowie umfangreiche Daten und Erfahrungen steuern die Stadt Frankfurt am Main – Stadtentwässerung Frankfurt am Main (SEF), der Abwasserverband Langen/Egelsbach/Erzhausen (AVLEE), die ENTEGA Abwasserreinigung und die TVM Thermische Verwertung Mainz GmbH (TVM) bei. Das Fraunhofer IWKS konzentriert sich auf Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategien und entwickelt in Zusammenarbeit mit der TU Darmstadt den Prozess, der die Aschen von Schwermetallen befreit. Mit der Demonstrationsanlage wird die angepasste Schwermetallabscheidung aus den Klärschlammaschen überprüft. Um eine umweltschonende und ressourceneffiziente technische Lösung zu entwickeln, begleiten Wissenschaftler des Fachgebiets Stoffstrommanagement und Ressourcenwirtschaft der TU Darmstadt den Entwicklungsprozess aus ökobilanzieller Sicht von Beginn an. Die rechtliche und wirtschaftliche Umsetzung des Verwertungsplans prüft die auf Energie-, Wasser- und Infrastrukturwirtschaft spezialisierte Kanzlei Becker Büttner Held.
Fachgebietsleiter Prof. Dr.-Ing. Markus Engelhart von der TU Darmstadt sagt über die Bedeutung des Projekts für das Rhein-Main-Gebiet: „Wir möchten uns der Herausforderung proaktiv stellen und ein geeignetes technisches, wie auch organisatorisches Konzept zum Phosphor-Recycling entwickeln. Das Projekt ist für die Metropolregion von strategischer Bedeutung, weil hier nicht nur agrarische, sondern auch industrielle Stoffkreisläufe mit betrachtet werden. Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir in Bezug auf den Phosphorkreislauf stehen, sind die gemeinschaftlichen Anstrengungen aller Akteure bereits zum jetzigen Zeitpunkt sehr wertvoll und genau das richtige Signal für die Zukunft.“
Das Verbundprojekt RePhoRM ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, das im Rahmen des Förderprogramms „Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA3)“ verfolgt wird. Projektträger ist das KIT in Karlsruhe.
Weitere Forschungs- und Kooperationsprojekte
Das aschebasierte Wirbelschichtverfahren beweist sich auch in anderen Fragestellungen als wirtschaftlich attraktiver Lösungsansatz, weil es nachweislich mit unterschiedlichen Aschearten funktioniert (Abb. 3). Eine Gruppe von klein- und mittelständischen Unternehmen sowie Forschungsinstituten bündelt zum Beispiel im Wachstumskern abonocare Innovationskräfte, um geschlossene Technologie- und Wertschöpfungsketten vom Reststoff bis zum Produkt zu entwickeln und wirtschaftlich zu verwerten – auch auf internationaler Ebene. In dem BMBF- Projekt werden entsorgungskritische organische Reststoffe wie Aschen aus Tierexkrementen oder anderen Sekundärrohstoffen untersucht. Im Verbundprojekt 4 entwickelt Glatt Rezepturen für Suspensionen mit erhöhtem Feststoffanteil und erarbeitet technologische Lösungen, mit denen sich Kreislaufprozesse effizienter machen lassen.
Um die Eignung von Biomasseaschen für die Düngererzeugung geht es in einem weiteren Projekt, unterstützt vom Thüringer Landesamt für Landwirtschaft und ländlichen Raum (TLLLR), das dem Bundesforschungsprojekt BAM (Biomasse-Asche-Monitoring) zugeordnet ist. Glatt engagiert sich in diesem Zusammenhang mit der Entwicklung der rohstoffspezifischen Suspensionen für Granulationsprozesse, die zu gebrauchsfertigen, DüMV-konformen Düngern führen.
Das „ERWAS-Anschlussprojekt RIAS – Ressourcenschonende und integrierte Aktivkohleherstellung auf Kläranlagen zur Spurenstoffelimination“ beschäftigt sich mit Lösungen auf Aktivkohlebasis, um Mikroverunreinigungen aus Abwasser zu entfernen. Die aus dem Rohabwasser abgeschiedenen organischen Stoffe sollen in Kohlenstoff umgewandelt und zur Abwasseraufbereitung eingesetzt werden. Glatt erprobt im Rahmen dieses Forschungsprojekts die kostengünstige und effektive Pelletierung der Carbonisate mittels Wirbelschichtagglomeration.
[1] Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, Europabericht der Vertretung des Freistaates Bayern bei der EUNr. 11/2020 vom 26.06.2020; Europabericht der Vertretung des Freistaates Bayern bei der EUNr. 11/2020 vom 26.06.2020, https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2020/06/eb-11-20.pdf.
[2] Thornton, Christopher, ESPP – DPP – NNP phosphorus recovery technology catalogue, https://phosphorusplatform.eu/images/download/ESPP-NNP-DPP_P-recovery_tech_catalogue_v_25_2_2020.pdf
[3] Statistisches Bundesamt, 2018: 9 % mehr kommunaler Klärschlamm verbrannt als 2017, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/12/PD19_479_32214.html.
[4] ecoprog GmbH: Zukunft der Klärschlamm-Entsorgung in vielen Regionen offen, 28. April 2020, https://www.ecoprog.de/fileadmin/user_upload/Pressemitteilung_ecoprog_Markt_fuer_Klaerschlamm-Entsorgung.pdf